Antimoderne Kontinuitäten

Video Lectures von Fabian Bechtle und Leon Kahane (Forum demokratische Kultur und zeitgenössische Kunst). Auf Einladung der Weserburg Museum für moderne Kunst Bremen.

Corona bestimmt derzeit die Debatten und Gedanken. Tagtäglich zeigt sich, wie lebenswichtig gesamtgesellschaftliche Solidarität ist. Gerade deshalb dürfen wir die antidemokratischen Tendenzen, den Rassismus und den rechten Terror der letzten Jahre und Monate nicht vergessen. Die Weserburg hat die Künstler Fabian Bechtle und Leon Kahane vom Forum für demokratische Kultur und zeitgenössische Kunst eingeladen, reaktionäre Aspekte in unserer Gesellschaft mit besonderem Blick auf den Kunstbetrieb in einer Reihe von vier Video Lectures zu beleuchten:

Folge 1: „Kulturpessimismus als Querfront“

Der Kulturpessimismus ist eine Abwehr von Modernität. Er löst die Konturen der politischen Lager über gemeinsame Feindbilder auf. Um eine progressive und durchaus radikale Kulturkritik an der Moderne nicht mit Kulturpessimismus zu verwechseln, sollte man am besten die Schuldzusammenhänge der Moderne mit den Mitteln der Moderne aufklären.

 

Folge 2: „Projektionen auf den Osten“

Die Projektion auf den Osten, hat in Deutschland eine lange Tradition. Konservativ-revolutionäre Kreise sahen bereits zum Anfang des letzten Jahrhunderts die Zukunft Deutschlands im Osten Europas. Der Osten ist heute zu einer Chiffre geworden, die eine identitäre Gegenkultur zum Ausdruck bringt, in der den einen der Osten als deutscheres Deutschland gilt und den anderen als das solidarischere. Das „Osterwachen“ wird somit auch in der Mehrheitsgesellschaft als eine Emanzipationsbewegung wahrgenommen, die gleichzeitig die verlockende Möglichkeit bietet, sich der eigenen historischen Schuldzusammenhänge zu entledigen.

 

Folge 3: „Erinnerungskultur und Schuldabwehr“

Die Erinnerung an die Shoah gehört zum gesellschaftlichen Selbstverständnis. Deshalb ist es wichtig einerseits die Erinnerungskultur grundlegend zu verteidigen und sie andererseits immer wieder in den Kontext aktueller Antisemitismusdebatten zu stellen. Revisionistische Eingriffe in die deutsche Erinnerungs- und Aufarbeitungsgeschichte zeigen die Bedeutung von Erinnerung für die Gestaltung der Gegenwart und der Zukunft.

 

Folge 4: „Traditionslinien der deutschen Kunst“

Unter dem Überbegriff „Deutsche Kunst“ verstehen die meisten heutzutage das gesamte Kunstschaffen in Deutschland. Sie ist demnach weder an die Nationalitäten der Künstlerinnen und Künstler gebunden, noch an einen speziellen Kunstbegriff. Tatsächlich war die Geschichte der deutschen Kunst aber immer von Kulturkämpfen begleitet. Äußere Einflüsse, Fortschritt und Modernisierung wurden als Gefahr für die kulturelle Identität der sogenannten Kulturnation Deutschland gesehen.

 

Informationen zum Forum demokratische Kultur und zeitgenössische Kunst: forum-dcca.eu

Das Forum ist ein Projekt der Amadeu Antonio Stiftung: amadeu-antonio-stiftung.de

Was sind antimoderne Kontinuitäten?

Die Moderne folgt dem Prinzip der Gleichwertigkeit der Individuen. Sie ist daher komplex und vielstimmig. Dieses Prinzip wurde durch Aufklärung und Säkularisierung gegen tradierte gesellschaftliche Hierarchien seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert erkämpft. Auf dem Grundsatz der Gleichwertigkeit aufbauend, lässt sich die Moderne ständig hinterfragen und dadurch weiterentwickeln. Dieser der Moderne inhärente, aufklärerische Prozess produziert immer wieder auch Phasen der Veränderung und Ungewissheit.

Demokratie und Moderne bedingen sich gegenseitig im Prinzip der Gleichwertigkeit – und in dem Vertrauen darauf, dass die offene Gesellschaft und ihre Institutionen dieses Prinzip ebenfalls anerkennen.

Die Antimoderne ist als Antithese an die Moderne und ihre Grundsätze gebunden. Wenn wir von der Antimoderne reden, dann reden wir also von Weltbildern, die explizit oder in ihrer Konsequenz die Gleichwertigkeit der Individuen und damit auch die Demokratie in Frage stellen. Die Antimoderne kann also keine progressive Kritik an der Moderne sein und daher auch nicht ihre Schuldzusammenhänge und inneren Konflikte aufklären. Mit der Antimoderne kann man folglich keine fortschrittsverbundenen Fragen an die Menschen, ihre Gesellschaft und ihre jeweilige Geschichte beantworten. Der Entwurf einer progressiven Zukunft wird so ebenfalls unmöglich.

Die Antimoderne ist letztlich nur eine Abwehr der notwendigen Aufklärung von Missständen, die die Grundlage gesellschaftlichen Fortschritts bildet. Dadurch werden gesellschaftliche Ungleichheiten nicht nur konserviert, sondern auch legitimiert und reproduziert. Das ist die Kontinuität der Antimoderne – und diese gilt es im Sinne der Gleichwertigkeit zu bekämpfen.

Fabian Bechtle, Leon Kahane