Auf anderen Gründen

Meisterschüler der Hochschule für Künste 2015. Karin Hollweg Preis 2015

27.06.2015 - 03.01.2016

Junge Kunst – auf andere Gründe kann ein Museum für Gegenwartskunst nicht bauen. In diesem Sinne zeigt die Weserburg die große Gemeinschaftsausstellung der Meisterschülerinnen und Meisterschüler des Studiengangs Freie Kunst der Hochschule für Künste Bremen. Das Meisterschüler Studium ermöglicht es herausragenden Absolventinnen und Absolventen nach mit Auszeichnung bestandenem Diplom ihre jeweiligen künstlerischen Positionen in zwei weiteren Studiensemestern zu vertiefen. Einen Höhepunkt bildet traditionell die Verleihung des Karin Hollweg Preises, dotiert mit insgesamt 15.000 Euro und damit einer der wichtigsten Förderpreise an deutschen Kunsthochschulen.

Die jährlich stattfindende Schau steht nicht nur für hohe Qualität. Sie ist ein idealer Ort für Entdeckungen und überraschende Wiederbegegnungen. Präsentiert werden Werke von fünfzehn Künstlerinnen und Künstlern. In aller Regel sind es Neuproduktionen, die in der Weserburg erstmals zu sehen sind. Spannend ist die formale, aber auch inhaltliche Vielfalt. Skulptur, Malerei, Fotografie, Zeichnung, raumgreifende Installationen, Videoarbeiten und auch partizipative Projekte zeigen die Möglichkeiten künstlerischer Produktion heute. Ästhetische Diskurse werden ebenso überzeugend thematisiert wie Fragen zur gesellschaftlichen Rolle der Kunst. Beispielhaft belegen vier Positionen die künstlerische Spannbreite.

Jule Körperich setzt sich in ihrem neuen Projekt mit der Wohnung als Mittelpunkt menschlichen Zusammenlebens auseinander. Für ihren Kurzfilm „cohabit“ suchte sie nach verschiedenen Vertonungen. Interessierte konnten für den virtuellen Wohnraum mietfrei eine akustische Begleitung erschaffen und sind nun damit selbst Teil der Ausstellung. Jede Art von Sprache, Klang, Musik oder auch Alltagsgeräuschen war dabei willkommen und kann nun in der Ausstellung erlauscht werden.

Ingrid Ogenstedt untersucht in ihrem Werk das wechselvolle Verhältnis von Kultur- und Naturraum. Mit gestochenen Torfblöcken schafft sie eine raumfüllende, mehrere Kubikmeter umfassende Installation. Sie besteht aus mehreren Skulpturen, die sie geometrisch anordnet. Die anspielungsreiche Installation fordert alle Sinne heraus und schafft so ein intensives Raumerlebnis. Im Rückbezug zu historischen Positionen der Land Art und Minimal Art entwickelt Ogenstedt eine ganz eigenständige Position.

Die Gemälde von Emese Kazár faszinieren durch ihre düstere, geradezu unnahbare Präsenz. Sie zeigen schemenhafte Körper und Frauenfiguren, die aus monochromen Bildgründen hervortreten. Ihre Gesichter sind unkenntlich, bisweilen mit roter Farbe vermalt. Identität und Herkunft der Gestalten bleiben im Dunkeln, auch wenn wir immer wieder Zitate bekannter Vor-Bilder zu erkennen meinen.

Daniel Wrede interessiert sich für Eigenschaften und Erscheinungsformen alltäglicher Materialien und Objekte. Mit wenigen aber präzisen Veränderungen verwandelt er banalste Gegenstände in Kunst. Verschlussclips von Brottüten kommen ebenso zum Einsatz wie Steinkreiskegel aus dem Baumarkt, die er auf unerwartete Weise in Bewegung versetzt. Es ist ein ebenso humorvolles wie hintersinniges Spiel mit unseren Erwartungen an die „hohe Kunst“.

Mit ihren insgesamt fünfzehn variantenreichen Positionen schafft die Ausstellung das, was der amerikanische Kurator Seth Siegelaub von der bildenden Kunst bereits in den 1960er Jahren forderte: „Art is to change, what you expect from it“.

Es erscheint ein Katalog mit einem Vorwort von Peter Friese, Texten von Ingo Clauß und Abbildungen von allen ausgestellten Arbeiten. Grafik: Johannes Ellmer und Leon Lothschütz.

 

Ein herzliches Dankeschön für die Unterstützung gilt dem Freundes- und Förderkreis der Hochschule für Künste Bremen, der Karin und Uwe Hollweg Stiftung, der Heinz A. Bockmeyer Stiftung, der Sparkasse Bremen, der Deutschen Factoring Bank und der Waldemar Koch Stiftung.

Künstlerinnen und Künstler

Egor Alekseev, Anna Bart, Emese Kazár, Tobias Heine, Jule Körperich, Effrosyni Kontogeorgou, Katharina Kreutzkamp, Emre Meydan, Samya Boutros Mikhail, Lucas Odahara, Ingrid Ogenstedt, Zahra Onsori, Eva Naomi Watanabe, Daniel Wrede, Youyou Yang

Karin Hollweg Preis 2015

Begründung der Jury: „Die Jury zeigt sich beeindruckt von der hohen Qualität der ausgestellten Arbeiten der Ausstellung „Auf anderen Gründen. Meisterschülerinnen und Meisterschüler der Hochschule für Künste Bremen“. Noch nie waren in einem Jahrgang so viele junge Künstlerinnen und Künstler unterschiedlicher Nationen, von China, über Iran, Griechenland, Schweden bis hin zu Brasilien, vertreten. Die internationale Ausrichtung der Hochschule für Künste Bremen findet damit in der Ausstellung eine außerordentliche Entsprechung.

Nach intensiven Beratungen vergibt die Jury den Karin Hollweg Preis 2015 an Tobias Heine. Sein Werk hat in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung genommen, die sich in seiner aktuellen mehrteiligen Rauminszenierung auf pointierte Weise verdichtet. Überzeugt hat insbesondere der präzise Umgang mit verschiedenen Medien, mit denen ein komplexes Gesamtbild geschaffen wird.

Wäsche zusammenlegen, Wasser in ein Glas gießen oder Papier zerknüllen. Alltägliche Handlungen und Gesten sind Ausgangspunkte für Tobias Heines künstlerische Praxis. In seinen Videos überprüft er gewöhnliche Vorgänge auf ihr ästhetisches Potenzial. Durch die minimalistische Inszenierung und die Abwesenheit jeglicher Irritationen gelingt es Tobias Heine, den Fokus auf etwas zu legen, was sonst nicht wahrgenommen wird. Einmal wird ein Espresso aufgebrüht. Das andere Mal sehen wir die Hände des Künstlers, die auf dem Tisch ruhen und nur manchmal ihre Stellung wechseln.

Mit der Hervorhebung banaler Vorgänge entfaltet Heine eine eindrückliche Wirkung und Bewusstmachung. Hintersinnig überprüft er Wertmaßstäbe, mit denen wir Bedeutung beimessen oder auch verwehren. In der Ausstellung hat er Handtücher lakonisch übereinander gehängt. Die Zufälligkeit des Faltenwurfs trifft auf den Wunsch des Betrachters, eine bedeutungsvolle geradezu malerische Formgebung zu entdecken. Erweitert wird das Arrangement um eine Sitzecke mit Grünpflanze, wie man sie aus Vorzimmern kennt. Die Installation weist auf einen weiteren Aspekt im Werk von Heine hin. Der Faktor Zeit ist ein werkbestimmendes Element. So auch bei den zwölf Zeichnungen „5×5“. Ein Jahr lang hat er nahezu täglich 25 Zahlen ausgewürfelt und mit geometrischer Präzision in ein Raster übertragen. Die am Tag zuvor notierten Ergebnisse wurden ausradiert und überschrieben. Zurück bleiben vielschichtige Spuren eines scheinbar grotesken Vorgehens, geprägt von Zufall und Notwendigkeit.“

Jury

Janneke de Vries, GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst
Peter Friese, Weserburg | Museum für moderne Kunst
Fanny Gonella, Künstlerhaus Bremen
Christoph Grunenberg, Kunsthalle Bremen
Wolfgang Hainke, Künstler
Andreas Kreul, Karin und Uwe Hollweg-Stiftung
Annett Reckert, Städtische Galerie Delmenhorst