Marcel Broodthaers. Musée à vendre
Die Sammlung Schmidt
Ausstellung im Zentrum für Künstlerpublikationen
„Auch ich habe mich gefragt, ob ich nicht etwas verkaufen und im Leben Erfolg haben könnte. Seit einiger Zeit war ich für nichts gut. Ich bin vierzig Jahre alt. Schließlich kam mir die Idee in den Sinn, etwas Unaufrichtiges zu erfinden, und auf der Stelle machte ich mich an die Arbeit. Nach Ablauf von drei Monaten zeigte ich die Ergebnisse Philippe Edouardo Toussaint, dem Besitzer der Galerie St. Laurent. Aber, das ist Kunst, sagte er, und ich werde gern alles ausstellen. […]“ Marcel Broodthaers formulierte diese Sätze als offizielle Einladung zu seiner ersten Ausstellung, die 1964 in der Galerie St. Laurent in Brüssel stattfand. Ausstellung und Statement kennzeichnen zum einen das Ende seiner erfolglosen zehn Jahre langen Arbeit als Dichter und Schriftsteller und zum anderen den Beginn einer zwölf Jahre andauernden künstlerischen Tätigkeit. In seiner Schlichtheit wirkt der Satz wie eine Ironie sowohl in Hinblick auf seine nicht erfolgte Karriere als Dichter als auch auf eine mögliche Karriere als bildender Künstler.
Und genau auf der Grenze bzw. im Zwischenbereich von Kunst und Literatur schuf Marcel Broodthaers in den 1960er und 1970er Jahren ein künstlerisches Œuvre, das wegweisend für die weitere Entwicklung der zeitgenössischen Kunst im Allgemeinen und für die Entstehung von Künstlerpublikationen im Besonderen wurde. Broodthaers publizierte, vervielfältigte und veröffentlichte weiter, wie er es als Schriftsteller gewohnt war, jedoch nun auf der Basis bildkünstlerischer Parameter und ohne die literarischen zu leugnen. Bereits durch seine Beteiligung am Kreis der Surrealisten ist er auf die Verbindung von Kunst und Literatur aufmerksam geworden. Er wechselte nur die Seite und den Blick auf das, was ihn interessierte. So entstanden ab 1964 zahlreiche Ausstellungsplakate, Filme, Fotografien, Grafiken, Künstlerbücher, Multiples, offene Briefe, Tonbandaufnahmen und Zeitschriften, nicht nur von ihm konzipiert, sondern auch auf seinen gestalterischen Vorgaben basierend. Er ist damit in fast allen Gattungen der Künstlerpublikationen aktiv geworden. Seine Tonbandaufnahmen vervollständigen die Trias des Intermedialen – einer Verschmelzung von bildender Kunst, experimenteller Literatur und Musik – in seinem Œuvre an publizierten Kunstwerken.
Die Faszination für Werke im Zwischenbereich einer poetischen und künstlerischen Intention ist das, was den Sammler Manfred Schmidt und seine Frau mit dem Œuvre von Marcel Broodthaers besonders verbindet. Manfred Schmidt, der sich schwerpunktmäßig als Buchsammler versteht, interessiert gerade die Verbindung von Kunst und Literatur. Und in diesem Bereich hat Marcel Broodthaers ein wegweisendes und vielschichtiges Œuvre hinterlassen. Die Sammlung Schmidt umfasst so einen überaus repräsentativen Bestand an Werken von Marcel Broodthaers aus diesem Bereich. Sie enthält nicht nur alle literarischen und künstlerischen Bücher und Zeitschriften, sondern auch veröffentlichte Texte und offene Briefe, Filme, Grafiken, Multiples, Ausstellungskataloge und Plakate, gestaltet von Marcel Broodthaers. Im Sinne eines „Musée en miniature de Marcel Broodthaers“ manifestiert und verdeutlicht die Sammlung Broodthaers‘ gesamtes Kunstschaffen. Sie befindet sich seit 1997 als Leihgabe im Zentrum für Künstlerpublikationen in der Weserburg, und ist von Manfred Schmidt über die Jahre immer wieder durch weitere Arbeiten von Broodthaers ergänzt worden.
Die Ausstellung des Zentrums für Künstlerpublikationen stellt mit der Präsentation der Werke von Marcel Broodthaers nicht nur ein für den Bereich der Künstlerpublikationen besonders wichtiges künstlerisches Oeuvre vor, sondern auch eine Sammlung, die sich konsequent mit dem Werk des vor 40 Jahren verstorbenen Künstlers auseinandersetzt und sich in den letzten 20 Jahren nahezu verdoppelt hat. Die künstlerische Intention von Marcel Broodthaers zielte darauf ab, die Rahmenbedingungen der künstlerischen Produktion und Rezeption zu untersuchen bzw. des Verhältnisses von Kunst und Gesellschaft. Broodthaers fragte nach der Definition von Kunst als gesellschaftlicher Konvention. Im Rahmen der Ausstellung stellt sich die Frage, was hat sich in den letzten 40 oder 50 Jahren verändert?