Unter dem Radar
Underground- und Selbstpublikationen 1965 - 1975
Ausstellung im Zentrum für Künstlerpublikationen
»Der ungeliebte Begriff ›Underground‹ umfasst Hippies, Beats, Mystiker, Durchgeknallte, Freaks, Yippies, Verrückte, Exzentriker, Kommunarden und alle, die starre politische Ideologien ablehnen (›Das ist eine Geisteskrankheit‹) und überzeugt sind, dass die Bastille schon von selbst fallen wird, wenn sie nur ihr eigenes Hirn sprengen«, schreibt Richard Neville 1970 in seinem Buch Play Power – Exploring the International Underground. Er war Mitbegründer eines jener Magazine, die maßgeblich wurden für den „Import“ des Modells „Underground“ aus den USA: Oz, neben it – international times das einflussreichste europäische Magazin einer dämmernden counter culture.
Der britische Schriftsteller Jeff Nuttall bezeichnet den Underground als »messianischen Kreuzzug« des Dilettantismus. Es ist das Lob einer Amateurproduktion, die nicht mehr entschuldigend, sondern offensiv auftritt: Professionalität wird als ideologisches Hemmnis begriffen, als Blockade der Kommunikationskanäle, als lahme, unpersönliche Zensur-, Verflachungs- und Kommerzmaschinerie.
Underground- und Selbstverleger werfen die Frage nach dem Verhältnis von Hand- und Kopfarbeit auf, aber auch von Einzelnem und Kollektiv, von Kollektiv und Szene, von Szene und Gesellschaft. Vor allem drückt sich in ihren »selfmade«-Veröffentlichungen die Freude an einer produktiven – tippenden, druckenden, schneidenden, bastelnden – Selbstbehauptung aus: »Wir machen unsere Zeitschriften aus dem gleichen Grunde, aus dem kleine Kinder herumrennen, schreien und Lärm machen. Weil wir leben. Das ist alles.« (aus: „Was ist Underground-Presse?“)
Die Ausstellung gibt Einblicke in die Publikationskultur, die ab Mitte der 1960er unter dem Einfluss dieses Imports in Europa, vor allem in der BRD entstand und sich Mitte der 1970er, dem internationalen Trend folgend, wieder verflüchtigte, verwandelte, abgelöst wurde. Sie zeigt Formen des gestalterischen Dilettantismus zwischen Bleiwüste, Bricolage und ornamentalem Dschungel. Sie dokumentiert die Sehnsucht nach Eindeutigkeit, der »Zwischentöne … bloß Krampf im Klassenkampf« (wie Franz-Josef Degenhardt 1968 sang) und das Schillern der Vieldeutigkeit, das zeitgenössisch »Pop« hieß. Sie erzählt vom Wunsch, den »Lügenmedien der Leichen« (Urban Gwerder) eine »Gegenöffentlichkeit« entgegenzusetzen und von der Faszination für die Massenmedien. Sie widmet sich den Elementen einer Undergroundästhetik: der Komplexität von Schriftbildern, der ornamentalen Überwältigung eines psychedelischen Boulevards, den Freuden der Comics und der Drastik der Pornografie.
Die Ausstellung ist zugleich eine Spurensuche nach den Kraftquellen heutiger »Independent«-Publikationspraktiken, aber auch der elektronischen »Gegenöffentlichkeiten« des Internet, die viele Erwartungen und Ideen des alternativen Mediendenkens der 1960er, 1970er Jahre fortschreiben.
Die Ausstellung wird von folgendem Rahmenprogramm begleitet:
- November 2015 um 19 Uhr:
»Dancing the Underground. Psychedelik, Poesie« – Disco aus den 1960/70er Jahren mit der Klasse Heike Kati Barath, den Bildern von Bogdan Hoffmann und DJ Glasmeier im Auditorium der Hochschule für Künste.
- Dezember 2015 um 16:30 Uhr:
Öffentliche Führung durch die Ausstellung mit Jan-Frederik Bandel und Tania Prill
14./15. Januar 2016:
McLuhan ist nicht tot
Internationale Tagung an der Hochschule für Künste Bremen. Die Tagung setzt sich mit Formen unabhängigen Publizierens seit den 1960ern auseinander, um in der Gegenwart anzukommen.
- Januar 2016:
Vortrag an der HfK Bremen Vortrag über »Open Source Publishing« der Gruppe »OSP Kitchen« (Brüssel).
Publikation:
Ein Buch zur Thematik der Ausstellung erscheint im Frühjahr 2016 bei Spector Books (Leipzig).
Konzeption:
Jan-Frederik Bandel, Michael Glasmeier und Tania Prill (Hochschule für Künste, Bremen), Annette Gilbert (Freie Universität Berlin),
In Zusammenarbeit mit den Studierenden des Master Studios »From Aleph to Eternity« der Hochschule für Künste Bremen.
Eine Ausstellungskooperation der Freien Universität Berlin, der Hochschule für Künste Bremen und des Zentrums für Künstlerpublikationen
Mit freundlicher Unterstützung der VolkswagenStiftung und des Peter Szondi-Instituts der Freien Universität Berlin