Freibeuter der Utopie
Die Kunst der Weltverbesserung
Die Weserburg zeigt in der Ausstellung „Freibeuter der Utopie“ künstlerische Denkanstöße zur Veränderbarkeit von Welt und Gesellschaft. Die weltumspannende Wirtschaftskrise hat eindringlich gezeigt, wie gefährlich es ist, wenn die Politik die gesellschaftliche Gestaltung allein in die Hände der Ökonomie legt. Doch was ist mit der Kunst? Welche Möglichkeiten der Einflussnahme hat sie? „Die Kunst erlöst uns von gar nichts“ – diese Aussage Bruce Naumans fokussiert die scheinbare Ohnmacht der Kunst gegenüber den vermeintlich stärkeren Kräften von Politik und Wirtschaft. Carsten Ahrens, Direktor der Weserburg, formuliert den thematischen Kern der Ausstellung hingegen anders: „Es sind die Künste: die bildende Kunst, das Theater, die Literatur, der Film, der Tanz und die Musik, die die Vision einer anderen Welt als lebendigen Traum wach halten“. Unter dem Titel „Freibeuter der Utopie“ versammelt die Weserburg nun in einer umfassenden Ausstellung künstlerische Positionen, die den Traum an diese Veränderbarkeit der Welt gegenwärtig machen.
In einer groß angelegten Collage in Text und Bild zeichnet die Ausstellung die Sehnsucht nach Entwürfen der Utopie einer anderen Welt nach. Dabei reichen die künstlerischen Medien von Bildern, Skulpturen und Installationen, über Fotografien und Filme bis hin zu Texten, Büchern und Interviews. Sie alle werden in Form einer Gesamtinszenierung ineinander verwoben.
Der ironische Klang des Untertitels verweist darauf, dass „Die Kunst der Weltverbesserung“ keine Antworten kennt, sondern eine Allee von Fragezeichen beschreibt. Auf dieser Allee wird der Besucher zwar mit sich allein sein, im Bewusstsein eines Satzes von Andy Warhol jedoch seine eigenen Kräfte und Möglichkeiten entdecken können: „Man behauptet immer, die Zeit verändere die Welt, aber in Wahrheit musst Du sie selbst verändern.“
Weitere Hintergründe zur Ausstellung:
Ausgehend von unterschiedlichen Grundhaltungen visieren die Künstler der Ausstellung einen gemeinsamen Fluchtpunkt an. Dieser ist dem ästhetischen Auftrag verschrieben, das bestehende System aus Wirtschaft, Technik und Staat aus den Angeln zu heben und den Glauben an eine Veränderbarkeit der Welt ins Werk zu setzen. „Die Utopie einer solchen ästhetischen Aufgabe ist Urbild eines künftigen realen Zustands, und gerade weil heute der reale Zustand die Versöhnung verweigert, ist ihre Idee im Bilde festzuhalten.“, bringt es Theodor W. Adorno auf den Punkt.
Die beteiligten Künstler sind Grenzgänger zwischen den Systemen. Jenseits von Ideologie und Political Correctness radieren sie mit ihren Werken an den Grundfesten der Wirklichkeit und eröffnen so den Raum, die Möglichkeit einer anderen Welt zu denken. Im Zentrum steht die Frage von Beuys „wie aus der Kunst heraus die Revolution stattfinden kann“ und die Erkenntnis, dass „das Einzige, was ein Kunstwerk kann, ist Sehnsucht wecken nach einem anderen Zustand der Welt – und diese Sehnsucht ist revolutionär.“ (Heiner Müller).
Mit seinem Begriff von der „Sozialen Plastik“ hat Joseph Beuys die Veränderbarkeit der Welt geradezu zum Kern seiner künstlerischen Arbeit gemacht. Seine Gedanken zur Umgestaltung der Welt kreisen um eine Neudefinition der Begriffe der Produktion, nach der „Kunst = Kapital“ und „Jeder Mensch ein Künstler“ ist. Heiner Müller – aus einer ganz anderen Richtung kommend – hat die Erkenntnis mit seinen frühen Stücken aus der Produktion der DDR, die gesellschaftlichen Konflikte auf dem Weg „Barfuß in den Sozialismus“ zugespitzt und eine Revolutionierung der Produktionsprozesse forciert. In den reproduzierten Motiven der Warenwelt war es Andy Warhol, der die Sehnsuchtsbilder des American Way of Life in die Tiefe ihrer Leere gespiegelt hat.
Die Künstler als Freibeuter der Utopie sind sich ihrer Stellung im Machtgefüge durchaus bewusst. Beuys unterstellt: „Bis jetzt hat der Künstler noch nicht nachgewiesen, dass er mehr Macht als die Ökonomie hat.“ Dieser Gedanke wird von Heiner Müller noch vertieft: „Man muss sich als Intellektueller damit abfinden, dass in einer Welt, wo Geld der oberste Wert ist, der Intellektuelle nicht viel bedeutet und nicht viel tun kann außer Denken und Schreiben.“
Dieser Grundton in den Gezeiten von scheiternder Hoffnung und hoffendem Scheitern wird von dem ersten Werk der Ausstellung, Bruce Naumans Videoinstallation „Anthro/Socio. Rinde Spinning“ (1992) vorgegeben und zieht sich durch die gesamte Schau, einen Satz Becketts umkreisend „Wieder versuchen. Wieder Scheitern. Besser Scheitern.“
Künstlerinnen und Künstler
Joseph Beuys, Heiner Müller, Alexander Kluge, Peter Land, Andy Warhol, Einar Schleef, Martin Kippenberger, Gavin Turk, Bruce Nauman, Artur Żmijewski, Jonathan Meese, Olaf Metzel, Astrid Klein, Jaume Plensa, Rolf Dieter Brinkmann und Gäste