Heal the World
Meisterschülerinnen und Meisterschüler der Hochschule für Künste Bremen. Karin Hollweg Preis 2016
Heal the World – der Titel der Ausstellung ist eingängig wie ein Pop Song. Doch kann und soll Kunst überhaupt heilsam sein? Hat sie einen gesellschaftlichen Auftrag? Oder muss sie nicht auf ihrer Freiheit und Unabhängigkeit bestehen? Mit ironischer Leichtigkeit wirft die Ausstellung gleich zu Beginn unbequeme, aber notwendige Fragen auf. Geht es doch um die Relevanz künstlerischer Arbeit. In diesem Jahr präsentieren elf Meisterschülerinnen und Meisterschüler ihre neuesten Werke, die in der Weserburg erstmals öffentlich zu sehen sind. Einen auffälligen Schwerpunkt bilden aufwändige, mitunter mehrteilige Videoarbeiten, wie auch Installationen und raumbezogene Konzepte. Gezeigt werden zudem Fotografie, Zeichnung und Skulptur. Einen Höhepunkt am Eröffnungsabend bildet traditionell die Verleihung des Karin Hollweg Preises, dotiert mit insgesamt 15.000 Euro und damit einer der wichtigsten Förderpreise an deutschen Kunsthochschulen. Die Hälfte des Preisgeldes ist für eine institutionelle Einzelausstellung in Bremen reserviert.
Beispielhaft belegen sechs Positionen die künstlerische Spannbreite der Ausstellung. Daniel Neubacher präsentiert eine schwarze, raumfüllende
Skulptur, die sich unter lautstarkem Gebläse langsam erhebt. Spaß und Spektakel künden sich an, doch fällt das eindrucksvolle Luftschloss immer wieder in sich zusammen und bleibt damit ein hintersinniges Versprechen, das vergeblich auf Erfüllung wartet.
Henrik Nieratschker verortet seine Arbeitsweise selbst an der Schnittstelle von Kunst und Design, Technologie und Wissenschaft, Fiktion und Theorie. Für seine neue Installation nutzt er verschiedene Repräsentationsformen von digitalen, internetbasierten Plattformen. Die fortschrittsgläubigen Verheißungen der Silicon Valley Kultur werden dabei reflektiert und zum Ausgangspunkt einer eigenen kritischen Ästhetik.
Das 4k-Video „state of the art“ von Julian Öffler will nicht nur in technischer Hinsicht auf der Höhe seiner Zeit sein. Öffler geht es um nichts Geringeres als den Zustand der Kunst. Einen befreundeten Künstler schickt er auf eine grotesk-komische Erkenntnisreise, die ihn durch einen Spanischen Abwasserkanal führt. In seinem schonungslosen, medial mehrfach gebrochenen Räsonnement werden die innere Notwendigkeit, aber auch die Möglichkeiten und Grenzen zeitgenössischer Kunstproduktion in Frage gestellt.
Mit einfachsten Mitteln gelingen Matthias Ruthenberg poetische Preziosen. Es sind zarte, in der Regel ungegenständliche Zeichnungen verschiedener Formate und Größen. Mit tastenden, bisweilen ungelenk wirkenden Strichen und Lineaturen entstehen eindrückliche Formen und Strukturen, die er gerne mit Satzfragmenten, anspielungsreichen Chiffren und Alltagsweisheiten verbindet.
Silvia Keppler ermöglicht in ihren nüchternen und sehr präzise inszenierten Fotografien überraschende Perspektiven auf gewöhnliche Objekte. Die Rückseite einer Holzuhr, ein vielfach spiegelndes Bassin aus Glas werden dabei zu besonderen Wahrnehmungsereignissen, die das Sehen selbst zum Thema machen.
Riccardo Castagnola experimentiert mit neuen Formen der Komposition und Klangerzeugung. Seine Soundinstallation reagiert auf einzelne Gesten und Bewegungen in Raum. Der Besucher wird dazu eingeladen, die interaktiven und performativen Möglichkeiten künstlerischer Teilhabe zu erproben.
Zur Ausstellung erscheint ein Magazin, das neben Fotografien und Texten zu allen ausgestellten Werken auch individuell gestaltete Seiten der Künstlerinnen und Künstler enthält. Konzeption und Umsetzung: Leon Lothschütz
Teilnehmende Künstlerinnen und Künstler
Riccardo Castagnola, Sebastian Dannenberg, Katrin Heydekamp, Silvia Keppler, Daniel Neubacher, Henrik Nieratschker, Julian Öffler, Claudia Piepenbrock, Matthias Ruthenberg, Ilka Wietzke, Shuling Yuan
Karin Hollweg Preis 2016
Begründung der Jury: „Der Karin Hollweg Preis für Meisterschülerinnen und Meisterschüler der Hochschule für Künste 2016 wird Claudia Piepenbrock zugesprochen. Mit ihrer Arbeit Seitengang: 2 angepasste Wände, spiegelnd und lautlos (2016) hat Piepenbrock die Jury überzeugt. Aus stahlgerahmten Schaumstoffelementen hat sie einen schmalen, fünf Meter langen Gang geschaffen, der durchschritten werden kann. Die Herkunft des Schaumstoffes als Innenleben von gebrauchten Matratzen bleibt sichtbar, ohne dass dieser Aspekt hier in narrativer Weise eingesetzt wird. Er ist anhand von Lattenrostabdrücken und ähnlichen Markierungen erkennbar, doch die Künstlerin hat alle weiteren Spuren vorhergehender Nutzung eliminiert.
Bewegt man sich zwischen den beiden Wänden hindurch, beeindruckt sofort das akustische Erlebnis des geschluckten Schalls. Die haptische Erfahrung und die körperliche Enge werden ergänzt durch die intensive Farbigkeit des Schaumstoffes. Klaustrophobische Ängste werden zitiert und noch gesteigert durch die Sichtbarkeit des plastischen Fertigungsprozesses. Claudia Piepenbrock hat die Matratzen mit unregelmäßigen Schnitten zerteilt. Diese Vorgehensweise entspricht einerseits einer traditionellen bildhauerischen Bearbeitung, doch schafft sie andererseits fühlbare Relikte einer brachialen Zerlegung. Die beiden derart zerteilten Wände geben sich trotz ihrer Unverbundenheit am Ende als Einheit zu erkennen, da man sie passgenau wieder zusammenfügen könnte.
Die besondere Qualität des Materials setzt Claudia Piepenbrock auch für die Außenansicht ihrer Installation ein, in der man eine Anspielung auf ein großes tafelbildähnliches Format erkennen kann, das an malerische Setzungen erinnert. Sehr überzeugend fand die Jury, wie bewusst die Künstlerin ihre Arbeit auf den bestehenden Ausstellungsraum bezogen und sie dort regelrecht eingepasst hat. Sie verleiht dem Raum und der Position ihres Werks innerhalb der Ausstellung Dynamik, indem sie die beiden Wände in einer Kurve auslaufen lässt, welche in einer Raumecke der Weserburg endet.
In der vielschichtigen plastischen Arbeit von Claudia Piepenbrock sieht die Jury den überzeugenden Ausdruck einer konsequenten künstlerischen Entwicklung, die bereits in früheren Werken hinsichtlich plastischer Setzung, sinnlicher Materialität und Körperlichkeit deutlich geworden ist und die hier nicht nur eine besonders präzise Umsetzung erfährt, sondern sich in beeindruckender Weise körperlich erfahren lässt.“
Die Jury des Karin Hollweg Preises 2016, Bremen, den 16. Juni 2016
Lebenslauf Claudia Piepenbrock
Claudia Piepenbrock ist 1990 in Paderborn geboren und arbeitete dort zunächst mit einer freischaffenden Künstlerin und Theatermalerin zusammen. Vor sieben Jahren ist sie für das Kunststudium in den Norden gezogen, studierte ein Jahr an der Hochschule für Künste Ottersberg Malerei bei Jochen Stenschke und wechselte 2010 an die Hochschule für Künste Bremen. Dort studierte Piepenbrock in der Klasse für Skulptur und Installationen bei Franka Hörnschemeyer und Fritz Balthaus, bei denen sie 2015 ihr Diplom ablegte. Diese Zeit ist geprägt durch längere Auslandsaufenthalte, internationale Ausstellungen, artist residencies und eigenen Kunstprojekten u.a. in Deutschland, Kanada, USA, Bolivien und Neuseeland, sowie Förderungen durch den Paula Modersohn-Becker Nachwuchspreis, den Förderpreis „Junge Kunst“ Paderborn und ein Stipendium des DAAD.
Jury
Dr. Eva Fischer-Hausdorf (Kunsthalle Bremen)
Peter Friese (Weserburg | Museum für moderne Kunst)
Fanny Gonella (Künstlerhaus Bremen)
Wolfgang Hainke (Künstler)
Dr. Arie Hartog (Gerhard Marcks Haus)
Dr. Andreas Kreul (Karin und Uwe Hollweg-Stiftung)
Dr. Ingmar Lähnemann (Städtische Galerie Bremen)
Dr. Annett Reckert (Städtische Galerie Delmenhorst)
Dr. Frank Schmidt (Museen Böttcherstraße)