Luca Vitone. Macht

08.05.2021 - 15.08.2021
Luca Vitone, Imperium, 2014, courtesy: Galerie Nagel Draxler Berlin/ Köln/ München, Foto: Franziska von den Driesch
Luca Vitone, Räume, 2014, courtesy: Galerie Nagel Draxler Berlin/ Köln/ München, Foto: Franziska von den Driesch

Luca Vitone (*1964, lebt in Mailand und Berlin) spürt in seinem künstlerischen Schaffen den vielfältigen Prägungen nach, die sich in Räume einschreiben und sowohl ihre Erscheinung als auch unseren Blick auf sie bestimmen. Bei der Erstellung seiner konzeptuellen Portraits unterschiedlicher Orte bezieht er emotionale wie kulturelle, soziale wie historische, ökonomische wie politische Aspekte ein. Seit den 1980er Jahren stellt er in Film, Malerei, Fotografie, Installation, Audiostück oder Duftinstallation Fragen nach Verwurzelung und Migration, nach Erinnerung und der Repräsentation von Räumen.

Im Rahmen der Kooperation SMELL IT!, an dem acht Bremer Ausstellungshäuser mit zehn Projekten zum Geruch in der zeitgenössischen Kunst beteiligt sind, zeigt die Weserburg Museum für moderne Kunst die erste museale Einzelausstellung von Luca Vitone in Deutschland.

Im Zentrum seiner Ausstellung Macht steht die raumgreifende olfaktorische Installation Imperium von 2014. Beim Betreten eines ansonsten nahezu leeren Raumes werden die Besucher*innen von einem Geruch empfangen, der nach anfänglicher Zurückhaltung eine gewisse muffig-süßliche Penetranz entwickelt. Dafür bat Vitone die Parfümeurin Maria Candida Gentile, einen Duft zu kreieren, der sich assoziativ mit Gefühlen und Vorstellungen von Macht und Autorität verbindet; einen Geruch, der innere Bilder an lange Behördenflure oder staubige Aktenordner ebenso wachzurufen vermag, wie er Erinnerungen von monumentaler Architektur, Hochfinanz und Politik zusammenbringt oder Erfahrungen mit Obrigkeit, Bürokratie und Herrschaftswissen transportiert. Das Ergebnis ist eine gleichermaßen unsichtbare wie raumprägende Skulptur, die durch das Bewusstsein um strukturelle Hierarchien und repräsentative Macht geprägt wird. Als „Duft der Macht“ wird Imperium zum Träger künstlerischer Infragestellung. Durch die Präsenz eines Geruchs, der Klischees und Atmosphären von Autorität in sich vereint, spricht die Arbeit darüber hinaus im gleichen Maße kollektive Erfahrungen an wie sie individuelle Assoziationen bei den Betrachter*innen auslöst.

Die vierteilige Gemäldeserie Räume (2014) schreibt den inhaltlichen Faden von Imperium fort und konkreten Orten zu. Was zunächst in monochromen Verwolkungen abstrakt-formalen Fragestellungen nachzugehen scheint, entpuppt sich als großformatige Aquarellmalerei aus in Wasser gelösten Staubpartikeln. Den Staub hat Vitone an vier Orten institutioneller Macht in Deutschland gesammelt: in der Deutschen Bundesbank in Frankfurt am Main (ökonomische Macht), im Bundesgerichtshof in Karlsruhe (judikative Macht), im Deutschen Bundestag (legislative Macht) und im Pergamonmuseum (kulturelle Macht) in Berlin. Die individuell unterschiedliche Beschaffenheit des Staubs zeigt sich in den verschiedenartigen Farbwerten des Grau-Beiges auf dem jeweiligen Maluntergrund.

Im Außenbereich direkt vor dem Museumseingang hat Vitone die Soundarbeit Foresta teutonica domestica (Teutonischer Heimatwald) von 2015 installiert. Hier legte der Künstler die Stimme seines damals neunjährigen Sohnes über die Tonspur einer Soundmaschine mit synthetischen Waldgeräuschen. Den Sohn hatte er zuvor gebeten, einige Tiere nachzumachen, die seiner Meinung nach im Wald leben. Wir hören die kindliche Imitation von Uhu, Kuckuck und Wildschwein – aber auch von Möwen. Die romantische Tradition des deutschen Waldes wird hier auf so humorvolle wie genau gesetzte Weise mit dem spielerischen Versuch zusammengebracht, eine emotionale Landschaft von dem zu zeichnen, was uns gleichsam fremd und vertraut ist.

Der Film Romanistan von 2019 erweitert schließlich die Perspektive der in der Weserburg präsentierten Werke um die Einschreibungen von Volksgruppen in kulturelle und naturhafte Landschaften. Romanistan verfolgt die migrantischen Spuren der Sinti*zze und Rom*nja auf ihrem Weg zwischen Indien und Europa seit dem 8. Jahrhundert, die Arten und Weisen, wie sie sich deren jahrhundertelange, nomadische Bewegung in Sprache, Kunst, Landkarten, Architektur, Speisen oder Musik abgelagert hat. Romanistan wird am 4. Juli um 17.30 Uhr im Kommunalkino CITY 46 gezeigt und vom Künstler selbst eingeführt

In der Zusammenstellung der Arbeiten entwickelt Macht einen Parcours über Fremd- und Beheimatet-Sein, über emotionale Zugänge, kulturelle Traditionen und institutionalisierte Macht. Die Werke vereint ihre Zurückgenommenheit bei gleichzeitiger Monumentalität. Geruch, Staub und Geräusch wie in Imperium, Räume und Foresta teutonica domestica etwa sind beiläufige Bezeugungen gelebten Lebens, die in deutlichem Gegensatz zu den Institutionen oder kulturellen Traditionen der Landschaften stehen, denen sie entstammen. Vitones Porträts von Orten institutionalisierter Macht sind ebenso von unten, von ihrem kleinsten Bestandteilen (wie Geruchspartikeln oder Staub) aus gedacht, wie auch seine Nachverfolgungen jahrhundertealter Reisewege in Romanistan sich vom Kleinsten aufs Ganze richten, vom Flüchtigen auf eine Form von Überzeitlichkeit.

 

Kuratiert von Janneke de Vries

 

Ausstellung im Projektraum

 

Im Rahmen von Smell it! Geruch in der Kunst – zehn Ausstellungen in acht Museen ab Mai 2021 im Bundesland Bremen. Ein Gemeinschaftsprojekt zum Geruch in der zeitgenössischen Kunst von: GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst, Gerhard-Marcks-Haus, kek Kindermuseum, Künstlerhaus Bremen, Kunsthalle Bremen, Kunstverein Bremerhaven, Paula Modersohn-Becker Museum, Städtische Galerie Bremen, Weserburg Museum für moderne Kunst, Zentrum für Künstlerpublikationen.

 

Weitere Informationen unter smellit.eu:

10 Ausstellungen in 8 Museen

Rahmenprogramm zu Smell it!

 

Zum Künstler Luca Vitone

Luca Vitone wurde 1964 in Genua geboren und lebt in Mailand und Berlin. Seit 2006 unterrichtet er an der Nuova Accademia Belle Arti, Mailand.

Er war weltweit an Biennalen und Gruppenausstellungen beteiligt, u. a. MACRO Rom (2020), Jewish Museum and Tolerance Center Moskau (2018), BOZAR Brüssel (2015), Italienischer Pavillon, Venedig Biennale (2013), Montevideo Biennale (2012), Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main (2011), Tirana Biennale (2008), Sharjah Biennale (2007), Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (2005), Venedig Biennale (2003) oder Städtische Galerie im Lenbachhaus München (2001).

Außerdem war sein Werk in zahlreichen institutionellen Einzelausstellungen zu sehen, u.a. MAXXI Rom und Villa Adriana Tivoli (2021), Centro per l’Arte Contemporanea Luigi Pecci Prato (2019), PAC – Padiglione d’Arte Contemporanea Mailand (2017), n.b.k. Neuer Berliner Kunstverein (2014), Museion Bozen (2012), Galleria d’Arte Moderna e Contemporanea Bergamo (2008), MART Rovereto (2007), OK Centrum Linz (2007), Casino Luxemburg (2006) oder MoMA PS1 New York (2000).